«Ich will den Chefs von Palmölfirmen die Augen öffnen»

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Im neuen «Orangutan Haven» der Organisation Paneco leben beeinträchtigte Menschenaffen. Der Verantwortliche Ian Singleton hat mit dem einzigartigen Projekt ehrgeizige Pläne.

«Ich will den Chefs von Palmölfirmen die Augen öffnen»

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Im neuen «Orangutan Haven» der Organisation Paneco leben beeinträchtigte Menschenaffen. Der Verantwortliche Ian Singleton hat mit dem einzigartigen Projekt ehrgeizige Pläne.

Interview: Tanja Hudec / Der Landbote

Die Queen zeichnete ihn sogar aus: Ian Singleton ist der langjährige Leiter des Orang-Utan- Schutzprogramms von Paneco. Die Stiftung aus dem Weinland kümmert sich nicht nur in Berg am Irchel um Greifvögel, sondern auf Sumatra auch um Menschenaffen. Kürzlich war der 58-jährige Engländer für drei Vorträge in der Schweiz. Er stellte das neuste und weltweit einzigartige Projekt der Natur- und Umweltorganisation vor: ein Zufluchtsort – Haven genannt – für Orang-Utans, die gesundheitsbedingt nicht mehr ausgewildert werden können. Sieben Menschenaffen, vier davon blind, leben auf mehreren künstlich geschaffenen sowie natürlich bewachsenen Inseln in der Nähe der grössten Stadt Sumatras. Ihr neues Zuhause hat etwa die Grösse einer Turnhalle und ist mit Bäumen, Seilen sowie Kletterkonstruktionen ausgestattet. Wie dieser Haven die Denkweise im Land verändern soll, erklärt Ian Singleton im Interview. Er sagt ausserdem, wieso er trotz korrupter Politiker, übermächtiger Palmölfirmen und Angst um seine Sicherheit nicht verbittert ist.

Herr Singleton, 15 Jahren lang haben Sie am «Orangutan Haven» gearbeitet. Nächstes Jahr soll er eröffnet werden. Sind Sie fertig?

Der Haven ist fantastisch geworden, etwas völlig Einzigartiges. Zu sehen, wie dieser Ort das Leben der Orang-Utans verändert, ist unbeschreiblich: Sie sind viel ruhiger und friedlicher. Statt in Metallgehegen zu sitzen, wo sie ständig frustriert und mürrisch waren, dürfen sie jetzt eigene Entscheidungen treffen: Wollen sie auf dem Boden liegen? Oder lieber auf einen Baum klettern? Auch wir vom Team haben immer noch diese Wow-Reaktion: «Mein Gott, wir haben etwas ganz, ganz Besonderes erschaffen. Aber zu Ihrer Frage: Nein, wir sind noch nicht fertig.

Was ist noch zu tun?

Die ursprüngliche Vision für diesen Zufluchtsort war, diesen Orang-Utans für den Rest ihres Lebens eine bessere Lebensqualität bieten. Nun haben wir aber doppelt so viel Land erhalten wie erwartet. Der Haven erstreckt sich über 50 Hektaren – viel mehr, als wir für die Orang-Utans benötigen. Die Vision ist daher auch gewachsen. Ein Teil betrifft das Bildungsprogramm für Besuchende, um sie für den Schutz dieser Tiere und ihres Lebensraumes zu sensibilisieren.

Wie sieht diese Vision aus?
Ich sehe im Haven ein riesiges Potenzial, um das Problem des Artenschutzes zu veranschaulichen. Ich bin wirklich gespannt darauf, ob wir die Wahrnehmung und das Verhalten der Menschen ändern können – nicht nur der Erwachsenen und der Leute, die für diese grossen Palmölfirmen arbeiten. Ich will die Geschäftsführer von Palmölunternehmen regelmässig in den Haven einladen, damit wir wirklich anfangen können, ihre Denkweise zu ändern und ihnen die Augen zu öffnen.

«Zu sehen, wie dieser Ort das Leben der Orang-Utans verändert, ist unbeschreiblich.»

Dr. Ian Singleton

Paneco-Gründerin Regina Frey vermittelte vor einigen Jahren das Bild eines aussichtslosen Kampfs gegen Palmölfirmen. Sie beklagten vor sieben Jahren die Korruption. Haben Sie also Hoffnung?

Die Palmölindustrie ist inzwischen noch mächtiger geworden. Über 98 Prozent der Wälder Sumatras wurden bereits zerstört und in Agrarflächen umgewandelt. Problematisch sind jetzt illegale Aktionen geworden. Aber ja, Hoffnung haben wir trotzdem.

Und was gibt Ihnen Anlass dazu?

Die sozialen Medien haben einen positiven Einfluss. Stellt jemand ein Video eines illegal gehaltenen Orang-Utans online, muss die Regierung reagieren. Wir haben eine aufstrebende Mittelschicht, die gut ausgebildet und technisch versiert ist. Die Themen werden öffentlich – das können wir spüren.

Werden Orang-Utans noch immer als Haustiere gehalten in Indonesien?

Die Zahl der illegalen Haustiere nimmt ab. Dieses Jahr haben wir nur zwei Meldungen erhalten. Das Bedürfnis einiger Machthaber, einen Orang-Utan oder einen Tiger im Haus zu haben, besteht aber nach wie vor. Je geschützter und illegaler das Tier, desto besser – es zeigt, wie mächtig die Person ist. Auch die Superreichen in Dubai oder Abu Dhabi sind daran interessiert, Orang-Utans zu besitzen. Das Problem wird sich also einfach verschieben.

Wie werden Sie angesichts dieser Entwicklungen nicht verbittert?

Den wilden Elefanten in Indonesien wird aufgrund der grossen Plantageflächen ebenfalls der Lebensraum genommen. Sie sind deshalb immer öfter auf Autostrassen anzutreffen. Ich habe kürzlich gelesen, jede Woche sterbe ein Elefant – von den 1200, die überhaupt noch existieren. In 20 Jahren wird es also keine Elefanten mehr geben.

Diese ernüchternde Aussage ist Ihre Antwort auf meine Frage?

(lacht) Ich will damit sagen: Um zu verhindern, dass die Elefanten aussterben, müssten Palmölunternehmen nach Ablauf ihrer 35-jährigen Konzession einen Teil des genutzten Landes wieder aufforsten. Heute würden Aktionäre wohl über diese Idee lachen. Aber die Welt verändert sich, überall arbeiten intelligente Menschen in Thinktanks an genialen Ideen. Ich hoffe, es taucht eine auf, bevor der letzte Elefant gestorben ist.

Auch Orang-Utans werden aufgrund der Abholzung in Menschensiedlungen gedrängt. Welche Folgen hat das?

Es kommt vor, dass sie Ackerland durchqueren. Die männlichen Orang-Utans sind riesig: Die Indonesischen Bauern schiessen aus Angst mit Luftgewehren auf die Tiere – meist in den Genitalbereich und ins Gesicht. Wenn sie den Angriff überleben, sind die meisten Menschenaffen danach blind.

Noch ist der Haven aber geschlossen. Wann wird er offiziell eröffnet?
Öffentlich zugänglich sind wir noch nicht. Wer unseren Haven aber bereits besuchen möchte, kann dies gegen eine Spende tun. Bis zur offiziellen Eröffnung dauert es noch einige Monate. Wir haben ehrgeizige Pläne für ein grosses, schickes Bambus-Restaurant, einen Ort für Hochzeiten und andere Anlässe sowie ein Lebensmittelgeschäft. Das Geld dazu fehlt uns aber noch. Bis genug Spenden eingegangen sind, versuchen wir immerhin eine Infrastruktur für Snacks und
Getränke aufzubauen. Diese sollte bis im kommenden Frühling bereit sein.

Der Hauptteil der von Paneco geretteten Orang-Utans lebt in Freiheit. Wie viele sind es heute?

Mittlerweile haben wir 460 Menschenaffen aufgenommen, davon wurden 200 im Süden Sumatras und 170 in einem Naturschutzgebiet ausgesetzt. Wir nähern uns also unserem Ziel: dass diese Populationen sich auch dann noch vermehren und langfristig stabil bleiben, wenn wir keine weiteren Tiere mehr auswildern. Wir wollen dennoch sicherheitshalber total 350 Tiere in jeder Population aussetzen. Die Orang-Utans pflanzen sich aber jetzt bereits fort. Und weil sie aus verschiedenen Ecken der Insel stammen, ist ihre DNA sehr vielfältig und sehr widerstandsfähig.

Das heisst, auf Sumatra leben jetzt zwei neue Gruppen von Orang-Utans: Paneco-Populationen quasi?

So ist es. Wir sind die einzige Organisation weltweit, die es geschafft hat, völlig neue, genetisch lebensfähige Wildpopulationen zu kreieren. Das ist – insbesondere in Anbetracht der Grösse unserer Organisation – beachtlich, wenn ich das ganz bescheiden sagen darf. An vielen anderen Orten werden zwar auch Menschenaffen ausgewildert, diese werden dann aber ein Teil einer bereits existierenden wilden Gruppe.

Das Interview erschien am 28. Oktober 2024 im Landboten.

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