«Naturkatastrophen betreffen nicht nur die Menschen, auch viele Wildtiere werden getötet oder schwer verletzt. Wenn es Orang-Utans betrifft, können wir sie medizinisch versorgen und an einem geeigneten Ort wieder freilassen.»
Dr. Yenny Saraswati
Leitende Tierärztin, SOCP Auffang- und Pflegestation, YEL
Glück im Unglück – die Geschichte von Ramo
Im Frühjahr wurde der indonesische Distrikt Gayo Lues in der Provinz Aceh von schweren Regenfällen und anschliessenden Erdrutschen heimgesucht. Neben vielen verletzten Menschen und zerstörten Häusern treffen solche Naturkatastrophen auch die Wildtiere. Dieses Mal war ein Orang-Utan-Weibchen unter den Opfern. Das Orang-Utan-Weibchen, das Ramo genannt wurde (Titelbild), war wahrscheinlich mit einem umstürzenden Baum zu Boden gefallen und steckte im Schlamm fest. Das Junge der Orang-Utan-Mutter konnte nirgends gefunden werden. Ramo kam nach einer ersten Untersuchung durch lokale Veterinäre in die Klinik unserer Auffang- und Pflegestation, wo sie sorgfältig untersucht und medizinisch versorgt wurde. Sie hatte mehrere Knochenbrüche sowie Wunden, vor allem im Gesicht. Ramo erhielt, weil sie völlig entkräftet war, zunächst Vitamin-Infusionen und ihre Wunden wurden versorgt. Eine detailliertere Untersuchung verwies auf eine leichte Hirnverletzung, die man weiter beobachten muss.
Medizinisch bestens versorgt
Unsere Klinik in der Auffang- und Pflegestation ist für derartige Fälle gut ausgerüstet. Hier werden nicht nur die Orang-Utans medizinisch versorgt, die bei uns bleiben, weil sie auf ihre Auswilderung vorbereitet werden, sondern auch solche, die aus illegaler Haustierhaltung konfisziert oder in einem Mensch-Tier-Konflikt verletzt wurden, aber bereits erwachsen sind und bald wieder freigelassen werden können.
Sehr häufig ist die Behandlung von Schuss- oder Schnittverletzungen, wenn Orang-Utans Opfer von Mensch-Tier-Konflikten werden und Menschen die Tiere mit Gewalt von ihren Plantagen vertreiben. Oft findet sich eine grosse Zahl Luftgewehrkugeln, die gar nicht alle entfernt werden können. Besonders gefährlich werden diese Schussverletzungen, wenn sie die Augen treffen. Drei unserer Orang-Utans im Orangutan Haven sind auf diese Art erblindet.
Nach Konfiszierungen aus illegaler Haustierhaltung müssen oft Folgen mangelhafter Ernährung behandelt werden, wie Unterernährung und Magen-Darm-Infektionen. Junge Orang-Utans, auch diejenigen, die für längere Zeit in unserer Auffang- und Pflegestation leben, sind allgemein anfällig für Magen-Darm-Infektionen oder leiden wie wir Menschen an Grippe oder fiebrigen Infekten der Atemwege. Standartmässig werden sämtliche Blutuntersuchungen, Kotproben, Untersuchungen auf Virus- oder Bakterien-Infektionen und nach wie vor Covid-19-Tests durchgeführt. Bei komplizierteren Knochenbrüchen greift man seit einiger Zeit auf die Expertise eines Human-Orthopäden aus der Region zurück, denn vom Körperbau her ähneln Orang-Utans den Menschen mehr als den Vierbeinern, die Veterinäre ansonsten behandeln. Alle Operationen werden direkt in unserer Klinik durchgeführt. Orang-Utans, die längere Zeit bei uns bleiben, kommen nach einem ersten medizinischen Check für drei Monate in die Quarantäne-Gehege, bevor sie in die Gruppenhaltung mit anderen Orang-Utans wechseln.